3. Fachdialog

Beim dritten Fachdialog erwarten Sie Berichte über die Arbeit der Plattform Grüne Chemie, die vor kurzem veröffentlichte EU-Chemikalienstrategie sowie interessante Fachvorträge aus Wissenschaft und Praxis.

Dieser Fachdialog fand am 3. Dezember 2020 als Online-Veranstaltung statt. Nachfolgend werden die Tagesordnungspunkte aufgelistet und zusammengefasst.

Foto Laborteströhrchen

Eckpunkte der Entwicklungen im Bereich der Grünen Chemie

Thomas Jakl, Abteilungsleiter Chemiepolitik und Biozide im BMK, zeigte sich über die große Anzahl an Teilnehmer:innen sehr erfreut. Er umriss die Eckpunkte der Entwicklungen im Bereich der Grünen Chemie: den Green Deal der EU Ende 2020, die Vorstellung eines Investitionsplans für ein zukunftsfähiges Europa, die Vorschläge für ein europäisches Klimagesetz (CO2-Neutralität bis 2050) und den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft im ersten Quartal 2021. Weitere Meilensteine auf EU-Ebene in diesem Jahr waren die Annahme der Strategie zur Integration des Energiesystems und der Wasserstoff-Strategie der EU für einen vollständig dekarbonisierten Energiesektor, die Vorstellung des Klimazielplans 2030 sowie die Veröffentlichung der europäischen Chemikalienstrategie. Auf nationaler Ebene ist die Gründung der „Plattform Grüne Chemie“ hervorzuheben. Bei der Umsetzung des nationalen Arbeitsprogrammes gibt es bereits große Fortschritte. Zur europäischen Chemikalienstrategie wird an einem Positionspapier gearbeitet, über weitere Arbeiten der Plattform Grüne Chemie verwies er auf die vorgesehenen Vorträge.

„Circular and Safe Design–Grüne Chemie am Beispiel Verpackungsmaterialien“

Manfred Tacker, Fachbereichsleiter Verpackungs- und Ressourcenmanagement, Studiengangsleiter Nachhaltiges Ressourcenmanagement des FH Campus Wien und Geschäftsführer von „Circular Analytics“, eröffnete die Fachvorträge mit „Circular Packaging – Assessment of Packaging Sustainability“. Der Lebenszyklus von Verpackungsmaterialien, welche zumeist aus Kunststoffen sind, ist ein wesentlicher Punkt im Hinblick auf eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Tacker beschrieb die Grundsätze des „Circular Packaging“ und hob hervor, dass ein maßgeblicher Impuls zur Reduktion von Plastikmüll und zur Wiederverwertung von Plastik durch die „Plastic Packaging Strategy Directive on single-use-plastics“ ausgelöst wurde, in der höhere Recycling- und Sammelraten, und ein Mindestanteil an eingesetztem Rezyklat in neuen Produkten festgelegt werden. Bis 2030 soll eine 100%ige Recyclingrate erreicht werden! Österreich liegt aktuell bei 25%, global werden nur etwa 9% erreicht, die Industrie muss also noch starke Anstrengungen zur Erreichung dieser Ziele unternehmen. Zusätzlich plant die österreichische Bundesregierung eine Reduktion von Plastikverpackungen bis 2025 um 20-25%. Einen Lösungsansatz stellt der vom Vortragenden mitentwickelte Leitfaden „Circular Packaging Design Guideline - Recommendations for the Design of Recyclable Packaging” dar, wobei es noch eine Reihe zu klärender Fragen gibt. Ein Problem stellen beispielsweise fehlende Zulassungen von Rezyklaten für Lebensmittel-Verpackungen dar, die über 50% aller Verpackungen ausmachen.

In der Diskussion bestätigte Tacker, dass der vermehrte Einsatz von Papier in Verbundverpackungen mit Kunststoffen tatsächlich ein Problem darstellt, da diese Verpackungen derzeit nicht rezyklierfähig sind. Im Hinblick auf die Decarbonisierung wäre eine automatisierte Bewertung von Verpackungen in der Verpackungsindustrie wünschenswert. Tacker bestätigte auch, dass es Ideen gibt, nicht sichtbare Codes auf den Verpackungen anzubringen, die digital auswertbar sind und eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung des Plastikrecyclings sind. Das Problem liegt auch hier in dem Fehlen harmonisierter Vorgaben.

„Microbial diversity – a key to success in industry“

Michael Sauer von der BOKU, stellvertretender Leiter des Instituts für Mikrobiologie und Mikrobielle Biotechnologie und Leiter des CD-Labors „Biotechnology of Glycerol“ präsentierte das „Microbial diversity – a key to success in industry.“ Der Vortrag beschäftigte sich mit der mikrobiellen Herstellung von Chemikalien. Organische Abfälle können mithilfe von Bakterien zu industriellen Basischemikalien verarbeitet werden. Dazu müssen aus einer enormen Vielfalt von Mikroorganismen die passenden Stämme identifiziert werden. Häufig können gewisse Abbauwege nicht von einzelnen Organismen, sondern nur im Verbund mit anderen realisiert werden. Das Ausgangsmaterial (organischer Abfall) für die Bioraffination ist zwar kostengünstig, die vorherige Aufreinigung jedoch ein sehr aufwändiger Schritt, ebenso wie das an die Fermentation anschließende Downstream Processing. Am Beispiel genetisch modifizierter Hefe konnte das Team von Sauer einen Weg aufzeigen, wie aus Abfällen (zum Beispiel aus der Zuckerrohrverarbeitung, Glycerin aus der Biodieselproduktion) Milchsäure in großem Maßstab hergestellt und aus dieser mit Hilfe weiterer Mikroorganismen die technisch wichtige Grundchemikalie 2-Butanol gewonnen werden kann. Aus Milchsäure kann auch biologisch abbaubarer Kunststoff (PLA) erzeugt werden. Der Vortragende hielt zum Schluss fest, „die Natur bereits sehr viele Probleme, mit welchen wir nun in der Industrie konfrontiert sind, gelöst hat, und wir daher wir gut beraten wären, uns dieses Know-How anzueignen.“

In der Diskussion erklärte Sauer auf die Frage, ob und wieweit Klärschlamm oder Stoffe aus Kläranlagen als Rohstoffe genutzt werden könnten, dass Biogase bereits heute energetisch genutzt würden, zur materiellen Verwendung von Klärschlamm habe er keine Erfahrungen.

Zur Frage des Recylings von PLA im Zusammenhang mit dem Ziel möglichst einheitliches Material zu recyclieren, kommentierte Sauer, dass es nicht das direkte Ziel sei, Verpackungen in großen Mengen aus PLA herzustellen, sondern aufzuzeigen, was durch mikrobiologische Prozesse möglich sei.

Bezüglich des Unterschieds im energetischen Wirkungsgrad zwischen der Fermentation mittels Ganzzellmikroorganismen und isolierter Enzyme, konnte Sauer keine konkreten Zahlen angeben, meinte aber, dass beide Ansätze Vor- und Nachteile bieten, die im Einzelfall betrachtet werden müssen.

In der Diskussion wurden auch weitere Fragen aufgeworfen, wie etwa die abnehmende Verfügbarkeit von Glycerin angesichts der immer weniger priorisierten Biodieselproduktion oder die möglichen technischen Probleme der Flockung bei Abtrennung/Aufbereitung der Syntheseprodukte. Abschließend bekräftigte Sauer die künftige Rolle der Grünen Mikrobiologie bei der heute vieldiskutierten Reindustrialisierung Europas.

„Grüne Chemie und die Europäische Chemikalienstrategie“

Martin Wimmer, Ministerialrat in der Abteilung Chemiepolitik und Biozide im BMK, gab einen kurzen Überblick über die wichtigsten Inhalte der neuen von der EU Kommission veröffentlichten Chemikalienstrategie zur Nachhaltigkeit. Von den fünf Säulen, auf denen die Strategie aufbaut, bietet vor allem die erste Säule mit dem Thema Innovation sehr vielseitige Ansatzpunkte für die Grüne Chemie. Einige davon werden schon im österreichischen Arbeitsprogramm aufgegriffen, andere ergeben sich vielleicht noch aus der genaueren Analyse des Kommissionspapieres, so Wimmer. In der letzten Folie präsentierte er auch die Vision des BMK für eine zentrale Bedeutung der Grünen Chemie innerhalb der EU-Chemikalienpolitik, mit sehr starken Bezügen zur europäischen Kreislauf- und Bioökonomiestrategie.
In der Diskussion wurde seitens des KonsumentInnenschutzes sehr begrüßt, dass die neue Strategie Verbote von "Substances of Concern" (nicht nur für krebserzeugende, sondern auch für hormonschädliche und besonders umweltgefährliche) in Konsumprodukten vorsieht.

Pflanzl, Managing Director BASF Österreich GmbH, bemerkte, dass mit dem Ziel der Verwendung von „renewables“ nicht nur die Bioökonomie, sondern wesentlich auch die Kreislaufwirtschaft verbunden ist, denn die Wiedergewinnung von Rohstoffen aus Abfallmaterialien wird ein wesentliches Element der künftigen Grünen Chemie bilden.

Auf die Frage, wie er das Innovation versus Vorsorgeprinzip in der Chemikalienpolitik sehe, meinte Wimmer, dass er im Rahmen der Grünen Chemie weniger den Widerspruch als das Zusammenwirken diese beiden Prinzipien sehe. Innovation im Sinne der Grünen Chemie ist die konsequente Verfolgung des Sustainable-by-Design-Ansatzes, schließt also eine sehr frühzeitige (Öko)toxizitätsbetrachtung im Rahmen der Entwicklung einer neuen Chemikalie mit ein. Dies erlaubt es, problematische Stoffe schon in einem sehr frühen Stadium zu erkennen und auszuschließen, was ein sehr Vorsorge-orientierter Ansatz ist.

Kritisch aus Sicht des ArbeitnehmerInnenschutzes wird der Begriff "Better Regulation" gesehen, denn hinter diesem öffnet sich ein Spannungsfeld zwischen gewünschtem Bürokratieabbau und der Befürchtung eines damit einhergehenden Abbaus von Arbeitsschutzechten oder Umweltschutzrechten.

„Grüne Chemie in Österreich – Die Plattform Grüne Chemie“

Barbara Wetzer, Expertin für Grüne Chemie im Umweltbundesamt, fasste die bisherigen Aktivitäten zur Grünen Chemie in den letzten Jahren zusammen, beginnend mit der Abhaltung der „Green Chemistry Conference“ im Herbst 2018, bis zur Gründung der Plattform Grünen Chemie (PGC) in diesem Jahr. Beim konstituierenden Treffen der PGC wurden VertreterInnen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Verwaltung und NGOs nominiert, wobei nach einer möglichst ausgeglichenen Vertretung der einzelnen Bereiche getrachtet wurde. Das Ziel der PGC ist die fortgesetzte Ausarbeitung und Umsetzung des Arbeitsprogramms zur Grünen Chemie. Das Arbeitsprogramm richtet sich nach vier großen Zielen, die ein Ergebnis der Fachdialoge sind, und auch in der Geschäftsordnung der PGC festgehalten sind: Vernetzung innerhalb und zwischen den oben angeführten Bereichen, Stärkung der Grünen Chemie in diesen Bereichen, Öffentlichkeitsarbeit und Entwicklung eines Bewertungssystems. Zu diesen Zielen wurden Arbeitsaufgaben formuliert, die in Teams bearbeitet werden. Das Arbeitsprogramm ist ein „lebendes“ Dokument und wird in der Plattform laufend diskutiert und adaptiert.

Eine vereinfachte Version des Arbeitsprogramms wird allen Teilnehmer:innen des Fachdialogs zur Verfügung gestellt. Wer weitere Ideen für Projekte und Aufgaben zur Grünen Chemie hat oder an einzelnen Arbeitspaketen mitwirken möchte, ist gerne zur Mitarbeit eingeladen!

Auf Anfrage erklärte Wetzer, dass im Bereich der erneuerbaren Rohstoffe noch keine Vertreter:in der Landwirtschaft mitarbeitet, falls Interesse besteht, werden gerne weitere Mitarbeitende aufgenommen.

Im Chat wurde auf das Projekt "CHEMPERFORM" hingewiesen, einer vom BMK unterstützten Initiative für den öko-effizienten Einsatz von Desinfektionsmitteln auf der Basis des Chemical Leasing.

Diskussion, Fragen, Anregungen

Auf die Frage, für welche Themen in zukünftigen Fachdialogen Interesse besteht, konnten die Anwesenden in einer Wordcloud antworten.

„Zu welchen Themen wünsche ich mir Fachvorträge in den zukünftigen Fachdialogen?“

Das Ergebnis spricht für sich:

Darstellung der von den Teilnehmer:innen genannten Themenbereiche
Wordcloud

Nach kurzer Abschlussdiskussion wies Benda-Kahri auf Fragen zur zukünftigen Ausgestaltung der Fachdialoge hin, mit der Bitte um möglichst zahlreiche Beantwortung. Dann bedankte sie sich für die Teilnahme und verabschiedete sich.

  • Wie wichtig sind mir fachlich-wissenschaftliche Vorträge?
  • Wie wichtig sind mir Vorträge zur Entwicklung der Grünen Chemie auf nationaler und EU-Ebene?
  • Wie wichtig ist mir die Diskussion und das Networking?
  • Wie gut fühle ich mich durch den Fachdialog zum Thema „Grüne Chemie“ in Österreich informiert?

Das Ergebnis finden Sie hier.