1. Fachdialog
Dieser Fachdialog fand am 29. April 2019 statt. Nachfolgend werden die Tagesordnungspunkte aufgelistet und zusammengefasst.
"Was ist Green Chemistry? - Grundlagen und Praxis in Österreich"
Thomas Rosenau (BOKU) führte in seinem Basisvortag „Was ist Green Chemistry? – Grundlagen und Praxis in Österreich“ die 12 Prinzipien der Green Chemistry an und diskutierte in diesem Zusammenhang die neue Green Chemistry-Definition der IUPAC. Er betonte, dass es in der Green Chemistry, wie in den Naturwissenschaften allgemein, keine Spielräume gäbe, wie zum Beispiel in Politik und Soziologie. Als Naturwissenschaft unterliegt sie klaren Gesetzmäßigkeiten. Bei jeder Produktion,
dem Einsatz von nicht nachwachsenden Rohstoffen, muss deren Endlichkeit „mitgedacht“ werden, welche klar ist. Unklar sind die Zeithorizonte. Um diese Endlichkeit ohne Verlust unseres Lebensstandards „abzufangen“, ist Forschung und Entwicklung notwendig. Die notwendige Zeit, um solch einen Übergang durchführen zu können wird als erstes der „Sechs Probleme der Grünen Chemie“ beschrieben. Die anderen 5 Probleme sind: konkurrierende Verwendung von nachhaltigen Rohstoffen für energetische oder stoffliche Nutzung, noch unzureichend entwickelte Trennmethoden und Analytik, das sogenannte „Lignin-Problem“, das alpha-beta-Problem und das Breakdown-Problem.
Lignin-Problem: Holz besteht aus Cellulose und zu einem großen Anteil aus Lignin, welches aber bis jetzt kaum stofflich genutzt wird.
Alpha-beta-Problem: bezieht sich auf die α-glycosidische Bindung in zum Beispiel Stärke (leicht spaltbar) im Gegensatz zur β-glycosidische Bindung in Cellulose (Verarbeitung aufwendiger).
Breakdown-Problem: Breakdowns von Naturstoffen, d. h. meist zu C1, C2 oder C3 Einheiten, die als Analoge der C-Einheiten fossiler Rohstoffe weiterverarbeitet werden. In vielen Fällen könnte es sinnvoller sein, die komplexen Naturstoffe als größere „chemische Bausteine“ einzusetzen.
„Green Chemistry in Österreich – Schwerpunkte in Forschung & Entwicklung“
Katharina Schröder (TU Wien) stellte in ihrer Präsentation die derzeitige Forschungslandschaft (inkl. Entwicklung) zum Thema „Green Chemistry“ in Österreich dar. Das steigende Interesse an diesem Thema ist am Anstieg österreichischer Publikationen in diversen Fachjournalen erkennbar (zum Beispiel Green Chemistry, ChemSusChem, ACS Sustainable Chemistry & Engineering). Ein Beispiel in Bezug auf die entsprechenden 12 Green Chemistry Prinzipien wäre das Recycling von Metallen der „Platin-Gruppe“, vor allem aus Katalysatoren: Die Green Chemistry Prinzipien, GCP 5 (Green Solvents) und GCP 6 (Energieeffizienz) werden in diesen Projekten umgesetzt. Weitere Aspekte sind die Versorgungssicherheit und die Entwicklung neuer Recyclingprozesse. Forschungsprojekte gibt es weiters zu alternativen Lösungsmitteln (solvents): ionic liquids, supercritical CO2, deep eutectic solvents. Zu GCP 7 (Rohstoffe) und GCP 12 (sichere Strategie, Unfallvermeidung) gibt es Forschung im Bereich der Auftrennung von Biomasse durch definierte Lösungsmittel und der Herstellung von Plattformchemikalien aus diesen Biomassefraktionen, zur Prozessintensivierung/Ratenerhöhung durch Mikroreaktortechnik, zur katalytischen Oxidation (allgem. Oxidation Problem in GC) und zu Biological Waste als Rohstoff zum Beispiel Stroh, Zitronenschalen. Die Forschungsgruppe Bioorganic synthetic chemistry beschäftigt sich hier mit der Herstellung von Biopolymeren. Geforscht wird auch bezüglich des GCP 2 (Ressourceneffizienz) und des GCP 8 (Reduktion von Nebenprodukten), hier im Bereich der HTP(hydrothermale Polymerisation) zur Herstellung eines Polyimids.
„Wo und wie wird Green Chemistry in Österreich gelehrt?“
Uwe Rinner (FH IMC Krems) betonte die Wichtigkeit der Verknüpfung von Lehre an Unis und FHs mit Forschung. Im Bereich GC könnten kleine Änderungen schon zum Erfolg führen. Es ist wichtig, nachhaltige, industrielle Prozesse in Vorlesungen einzubauen. GC in Österreich „steckt noch in den Kinderschuhen“, es gäbe noch viel zu tun, aber es gibt einen positiven Trend. Umweltschutz spare langfristig Geld. Trotz allem ist kritisches Denken und Hinterfragen essentiell – ist alles was „green“ scheint sinnvoll? (zum Beispiel Biodiesel). Die Bedeutung der Zusammenarbeit von FHs/Unis mit dem sekundären Bildungssektor wird betont (stärkere Vernetzung der GC in der Lehre), auch auf dem Gebiet der Pädagogik und Fachdidaktik. Konkrete Vorschläge/Beispiele sind: Ökologie zu Studienbeginn, Kinderuni, … . In Deutschland existiert beispielsweise eine Datenbank mit umweltfreundlichen Praktikumsbeispielen. Nachhaltige industrielle Prozesse sollen in die Lehre und umweltfreundliche Lösungsmittel sollen im Praktikum eingebaut werden. Eine wichtige Aufgabe/Herausforderung, um der GC zum Erfolg zu verhelfen, ist auch die Erstellung einer „Green Chemistry Metrics“.
In ihrem Vortag beschrieb Regina Robanser (Kollegium Kalksburg) die momentane Situation des Chemieunterrichts an Gymnasien: gesetzliche Vorgaben, Lehrplan mit relativ geringer Chemie-Stundenanzahl (Zeitproblem), kaum finanzieller Spielraum und internationale Vorgaben bei der Chemieolympiade (Österreich ist hier sehr erfolgreich;). Alternative Möglichkeiten beziehungsweise Spielraum bestehen in der Erarbeitung von VWAs und zum Beispiel in einem ERASMUS+ Programm zur Sustainability, durchgeführt am Kollegium Kalksburg. Es besteht der Wunsch nach Vernetzung – wie kann Schule unter ihren Rahmenbedingungen das Zukunftsfeld Chemie bzw. Green Chemistry fördern? Wie kann aus Insellösungen eine Strategie entwickelt werden? Nicht vergessen werden darf auch die Problematik der Genetik und Biotechnologie als Spielball der Biologie, Chemie und Ethik.
„Einzug der Green Chemistry in die Industrie“
Andreas Brakemeier (Werner & Mertz GmbH & Co KG) stellte die Entwicklung von „Grünen Produkten“, vor allem unter dem Markennamen „Frosch“, im Unternehmen dar (ISO Zertifizierungen, EMAS, seit 2014: Einsatz 100 % erneuerbarer Energie). Das Unternehmen setzt die GC Prinzipien 4 (Entwicklung sicherer Chemikalien), 7 (Rohstoffe), 1 (Abfallvermeidung) und 10 (Abbaubarkeit) bereits um und hat Entwicklungsleitlinien (seit 2007) für eine wertbasierte Entwicklung mit folgenden Themen: Ökologie, Ökotoxikologie, Wirtschaftlichkeit, Produktleistung, Soziale Fairness implementiert. Nach der Entwicklung der Reinigungsmittel zu umweltverträglichen GC-Produkten, wurde versucht eine „grüne Lösung“ für die Verpackung der Produkte zu entwickeln. Das Ziel ist nicht Ökoeffizienz (Durch weniger Materialeinsatz wird das Problem zwar kleiner, aber nicht gelöst – Entwicklung in eine Sackgasse;), sondern „Ökoeffektivität“ in Form einer geschlossenen Stoffkreislaufwirtschaft (nicht: Take-Make-Waste/Cradle to Grave sondern Take-Make-Regenerate/Cradle to Cradle). Das Projekt wird mit Partnern aus dem Bereich Kunststoffsammler, -wiederverwerter (Alpla, Unisensor, NABU) durchgeführt. Zusätzlich soll über die Initiative „Europäische Tenside“ die Verwendung von europäischen statt tropischen Pflanzenölen für regenerative Tenside entwickelt werden.
„Green Chemistry aus Sicht der Konsument:innen“
Helmut Burtscher-Schaden (Global 2000) erläuterte, dass Global 2000 zwar keine offizielle Position zu GC habe, griff aber in seiner Darstellung die Problematik der industriellen Landwirtschaft und deren Einsatz von chemischen Stoffen auf: Die mit diesen Stoffen verbundenen Risiken sind nicht immer klar dargestellt und es mangele an Transparenz. Aus Sicht der Konsument:innen stehen für diese
vor allem der Nutzen und nicht die Risiken und Gefahren im Vordergrund. Wichtig wären für Konsument:innen daher Informationen, um sich eine kritische Meinung bilden zu können. Für die Industrie wären zwei Strategien möglich: entweder den Kund:innen die Ängste zu nehmen und Vertrauen zu erwecken (green washing) oder ihren Erzeugnissen und Produkten wirklich die Gefahren und Risiken zu nehmen (zum Beispiel: Substitution, GC). Ein Ziel der GC kann es sein den „Chemical Footprint“ von (Konsumenten-)Chemikalien zu senken. Neben den Gesetzen der Naturwissenschaft muss GC auch die Gesetze der Marktwirtschaft beachten, das heißt GC funktioniert nur in Partnerschaft mit Marketing. Die GC wird nicht auf „freiwilliger Basis“ entstehen, sondern sie braucht zur Umsetzung auch einen unterstützenden Rahmen der Politik, welche Incentives legt. In der Diskussion von Green Chemistry darf man auch das Problem/die Gefahr von „Green Washing“ nicht unbeachtet lassen.
„Das Förderportfolio der FFG für Green Chemistry“
Andrea Kuhn (FFG) führte die relevanten Themenfelder des Förderportfolios des FFG an, in die die Green Chemistry fällt: Produktion/Energie, Chemie & Umwelt, Life Science und themenoffene Förderformate. Es gibt kein eigenes Programm für GC. Es wurden Beispiele für Forschungs- und Ausschreibungsschwerpunkte angegeben und ein Einblick in Themen- und Strukturprogramme. Beim Einreichen von Projekten sind immer zuerst die Fachreferent:innen des Programms zu kontaktieren. Ergänzt wurde von G. Lammers (BMNT) die Betriebliche Umweltförderung (KPC) als möglicher Ansprechpartner für weitere Förderungsmöglichkeiten, abseits der Forschung.
Key Note
Generalsekretär Josef Plank (BMNT) diskutierte in seinem allgemeinen Vortrag die Wichtigkeit der SDGs, die sehr große Ziele darstellen. Die ersten Schritte in die richtige Richtung sind REACH und CLP. Es fehlen aber noch große Teile zu einer vollständigen Kreislaufwirtschaft. Die Strategie der Nachwachsenden Rohstoffe birgt auch die Gefahr der Übernutzung in sich – das heißt sie ist nur ein Teil von vielen Antworten, die wir noch nicht kennen. GC ist eine mögliche Antwort, wobei die Gesamtheit sowie die Perspektiven im Auge behalten werden müssen. Wir sind mitten in der Diskussion einer zukünftigen Welt mit höheren Temperaturen und weniger Wasser, aber wir sind erst den Anfang des Weges gegangen. Die Ziele des SDG 12 (Produktion, Verbrauch) sind noch lange nicht erreicht. Ein neues Verantwortungsgefühl ist notwendig: Die Stufen im Kreislauf (vorher und nachher!) müssen mitgedacht werden. GC ist ein Teil dieses Schrittes. Wichtig für GC ist, dass sie nicht auf eine „schiefe Ebene“ gerät: kein eindimensionales Denken. Wichtig ist ebenso: nicht nur „Schreien“ sondern auch „Tun“. Josef Plank sagt im Namen des BMNT Unterstützung zu.
WORLDCAFÉ
Zusammenfassend stellte Thomas Jakl fest, dass ähnliche Veranstaltungen alle 6 Monate stattfinden, und eine ausführliche Website erstellt werden soll. SDGs sollen einen Rahmen und Leitbilder darstellen. Das Projekt GC soll ähnlich wie ED, Nano oder HBM4U aufgebaut/durchgeführt werden.
Im Anschluss sind Punkte, die die Teilnehmer im Zuge des Worldcafés erarbeitet haben, angeführt. Diese dienen als Grundlage für die zukünftigen Ziele und die kommende Gestaltung von Aktionen/Veranstaltungen zum Thema Green Chemistry.
Das haben wir schon gemacht
• Sparkling Science
• 70 Fachbereichsarbeiten – nicht an Schulen vermittelbar
• Chemical Leasing mit Aktivkohle
• neg.: Zukauf von Verpackungsmaterial
• 10 Jahre EU-Projekte
• Doktoratskolleg auf der Boku
• neg.: Haber-Bosch-Verfahren: sehr hoher Energieverbrauch bei NH3-Produktion
(2 % des weltweiten gewerblichen Energiebedarfs) – nachhaltige Energieerzeugung in dem Ausmaß kaum/nicht möglich
• GC – kein direktes Förderprogramm
• offene Forschung & Unternehmenskultur – holistisch die Kreislaufkette erreichen;
• jahrelange Erfahrung F&E, chemische Konsumgüter, Schulungen (intern, extern)
• Forschungszentrum (ABCT)
• Erasmus Programme
• Entwickeln von fehlenden Keyplayern für das Funktionieren der Kreislaufkette
Hindernisse
• Fehlende Vernetzung und Koordination, Unis untereinander und mit Industrie
• Übergreifende Konzepte fehlen
• Awareness in der Öffentlichkeit fehlt, vor allem an Schulen (Lehrplanänderung)
• Fehlende Ressourcen → finanzielles und zeitliches Problem (mehr Förderung, Forschungsschwerpunkt GC, CO2-Sequenzierung)
• Green Washing – es fehlt Bewertung/Siegel, ...
• Diskussion – Ethik
• Eingefahrene Geschäftsmodelle der Industrie
• GC-Potentiale werden von Industrie nicht erkannt
• Was sind realistische Potentiale der GC?
• Industrie: es fehle „Bestrafung/Belohnung“, legistische Unterstützung
• Problem: Kosteneffizienz
• Fragen: ist GC wirtschaftlich, kann sie es sein? Kann GC alles substituieren?
• Problemmüdigkeit, Veränderungsmüdigkeit, fehlende positive Ziele, mangelnde Bereitschaft
• Es fehlt Info – welche bekannten Geschäftsmodelle sind erfolgreich
Gestaltung der Plattform in Zukunft
• Plattform – ja sofort/schnell!
• Name egal: Forum, ...
• Periode: 2/a
• Klare Ziele – bessere Vernetzung; (→ Öffentlichkeit)
• Definition des Scopes der „Plattform“– Handlungsbereich, nicht nur GC engerer
Sinn, Überschneidungen, Synergien, ... (Nachhaltigkeit, Bioökonomie)
• Clusterung in Themenfelder, Ableitung konkreter Handlungsfelder
• Klare Gestaltung, Definitionen, Ethik?
• Ziele: Imagewechsel der Chemie, Öffentlichkeitsarbeit
• Bestehende Foren und Zeitschriften nutzen
• Website (ähnlich österreichischer Nano-Website: „Österreichisches Portal für Nanotechnologie“)
• B to B Meetings
• GC als Chance für Imagewandel der Chemie
• Ziel: Bearbeitung aktueller Probleme der Industrie
• Konferenzen für die Diskussion nationaler und internationaler Aspekte
• Chemie (GC?) als „Open Science“ der Öffentlichkeit zugänglich machen
• Know-How Transfer
• Diskurs – nicht nur chemische Fachdiskussionen, Analysen – Technikfolgenabschätzung
• Diskurs – Diskursethik
• Kontaktliste der Anwender mit Arbeitsbereichen (nicht nur Organisation)
• Open science Systeme, crowded knowledge
• Kürzere zeitliche Taktung
• Fachdialoge zu konkreten Themenfeldern
• Positive, negative Beispiele
• Reduktion des Komplexitätsgrades (Themenfelder überschaubar gestalten)
Was machen wir?
• Definieren Green Chemistry (anerkannte Kriterien, Indikatoren)
• in System der SDGs einbauen
• Ausbildung ab Kindergarten
• Idee: 12 Kriterien – 12 Projekte
• Interdisziplinärer Lehrgang GC
• ev. Umweltzeichen als Steuerungselement nutzen
• Kreislaufwirtschaft
• Innoförderung – Forschungsförderung – Vernetzung
• fundiertes Wissen vermitteln, Bewusstseinsbildung
• Datenbank – Nutzung der Rohstoffe
• Farbstoffe aus Bakterien
• Rohstoffe aus Algenteppich
• K goes Green – Nachhaltigkeit verbessern
• Fashion revolution
• Cleantech-Cluster, Datenbank, Rohstoffnutzung, OÖ
• Information, Transparenz, Aufklärung für Nutzer:innen, Konsument:innen
• Brücke: Grundlagenforschung – Technik