Nachlese zur Veranstaltung am 19. Oktober 2023

Die Veranstaltung der Plattform „Grüne Chemie – Zukunft:Chemie“ fand am 19. Oktober 2023 von 10:00 – 16:00 Uhr im Bundesministerium für Klimaschutz, Festsaal, Radetzkystraße 2, 1030 Wien statt.

Die Zusammenlegung der beiden Formate „Fachdialog Grüne Chemie“ und „Plattform Grüne Chemie“ wurde bei dieser Veranstaltung erstmals umgesetzt und die Neuerungen vorgestellt. Weiters wurden Themen aus den Bereichen Regulatorik, Wirtschaft, Forschung und Lehre adressiert. Zusätzlich bot sich die Möglichkeit zur Interaktion und Vernetzung.

Fragen zur Veranstaltung richten Sie bitte an das Grüne Chemie Team.
Präsentationen können auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.

Nachlese

Im Anschluss an die Begrüßung durch Thomas Jakl (BMK), in der die Bedeutung der Grünen Chemie in Österreich unterstrichen und für das Engagement der Anwesenden gedankt wurde, stellten Martin Wimmer (BMK) und Barbara Wetzer (Umweltbundesamt) die Neugestaltung der Plattform Grüne Chemie vor.

Überlegungen zur Weiterführung von Plattform (PGC) und Fachdialog (FD): Bis dato war der Fachdialog ein offenes Forum zum Austausch, Vernetzung und Information, während die Plattform als ein formelleres Format mit nominierten Mitgliedern geführt wurde, in dem unter anderem ein Arbeitsprogramm ausgearbeitet, diskutiert und umgesetzt wurde. Seit 2018 wurden eine Vielzahl an Veranstaltungen durchgeführt (Etablierungsphase), unter anderem die erfolgreichen Konferenz „A Green Chemical Deal“. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass ein Fortsetzen beider Formate nicht mehr notwendig und auch nicht unbedingt zielführend, sondern eine offenere Gestaltung durchaus möglich ist, auch um jetzt in einer Implementierungsphase die konkrete Arbeit fortzusetzen. Das neu gestaltete Format der Plattform „Grüne Chemie: Zukunft Chemie“ soll nun mehr Raum für Vernetzung bieten, während die Initiative für die Durchführung von Projekten verstärkt von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern selber kommen soll. So sollen für individuelle Projekte im Rahmen der Plattform Diskussions- und im besten Fall- Kooperationspartner:innen gefunden werden. Solche Projekte können bei der Umsetzung seitens des Projektteams unterstützt und begleitet werden. Einige erfolgreiche Beispiele für Projekte konnten hier bereits genannt werden wie zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit (Film Webseite), das neue Masterstudium Grüne Chemie oder die Initiative „Spotting Science“.

Nachdem einige Projekte des Arbeitsprogramms sehr erfolgreich durchgeführt wurden, stagnierte die Durchführung in den letzten Monaten hingegen etwas. Das Arbeitsprogramm soll daher nunmehr als Ideenspeicher fungieren, während – wie oben erwähnt - verstärkt individuelle Projekte von einzelnen Initiativen durchgeführt werden sollen.
Darüber hinaus wurde nach der ersten Periode von vier Jahren im Rahmen einer Umfrage an alle Mitglieder der PGC erhoben,

  • wie zielführend die Struktur, der Modus der Zusammenarbeit der PGC und des FDs waren, was beibehalten und was geändert werden sollte.
  • welche Erwartungen an die PGC bestehen und wovon die Mitglieder profitieren.
  • wie erfolgreich und zielführend die Diskussion und Bearbeitung von Projekten im Rahmen der PGC sind.
  • welche Projekte bearbeitet wurden, werden, und in Zukunft bearbeitet werden sollen.
  • wie die Teilnehmer:innen der PGC sinnvoll in Ihrer Arbeit zu GC unterstützt werden können.

Aus den Ergebnissen der Umfrage und den Erfahrungen der letzten Jahre werden Anpassungen durchgeführt und folgende Änderungen des Projekts zur Grünen Chemie angekündigt:

  • Die PGC und der Fachdialog Grüne Chemie werden zusammengeführt zur Plattform Grüne Chemie – Zukunft:Chemie. Es wird keine Geschäftsordnung, keine nominierten Mitglieder, kein abgestimmtes Arbeitsprogramm und keine formalen Prozesse geben. Die neue Plattform Grüne Chemie – Zukunft:Chemie soll operativ sein, Projekte unterstützen und begleiten.
  • Bei den Veranstaltungen werden jeweils Fachvorträge aus den einzelnen Bereichen der Plattform (Unterricht und Lehre, Forschung, Unternehmen und Wirtschaft, Verwaltung und Policy) präsentiert und keine Veranstaltungen mit Themenschwerpunkten mehr durchgeführt, die meist ausschließlich den Bereich „Forschung“ abdeckten.
  • Es ist geplant, dass zukünftig auch andere relevante Themen bei Treffen präsentiert und diskutiert werden: zum Beispiel Förderungen oder Bewertung.
  • Pro Jahr sind zwei Veranstaltungen geplant, die so weit als möglich physisch stattfinden sollen.
  • Dem Wunsch nach Vernetzung wird nachgegangen und entsprechend Zeit eingeplant.
  • Die Webseite wird entsprechend dem Feedback aus der – ebenfalls mit diesem Newsletter versendeten - Umfrage umgestaltet, entsprechend der erfolgten Zugriffe umstrukturiert und aktualisiert. Es ist ein ausgesprochenes Ziel möglichst viele Ihrer Projekte zur Grünen Chemie aus allen Bereichen auf der Webseite zu präsentieren.
  • Es ist nicht mehr Ziel das ursprünglich erstellte Arbeitsprogramm vollständig abzuarbeiten. Die Initiative für ausgewählte Projekte ergibt sich aus der Arbeit und dem Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der neu gestalteten Plattform Grüne Chemie – Zukunft:Chemie. Über die Plattform besteht die Möglichkeit zum Austausch, zur Vernetzung und zur Identifizierung von Kooperationspartnern - eine „Projektbörse“.
  • Projekte der neuen Plattform sollen – wie oben erwähnt – auf der Webseite der Grünen Chemie vorgestellt und in einem Fortschrittsbericht veröffentlicht werden.
  • Nach Vereinbarung und Absprache und entsprechend den eigenen Ressourcen kann durch das Team Grüne Chemie bei der Projektdurchführung unterstützt werden, zum Beispiel in Form von Projektbegleitung, Vernetzung etc.

Stimmungsbild

Um einen Eindruck zu bekommen, inwieweit die Grüne Chemie bereits im Arbeitsalltag der Plattformmitglieder:innen verankert ist, wurde über Ja? / Nein?  -Fragen ein Stimmungsbild erstellt. Die Ergebnisse sind unten wiedergegeben:

  • Ist Ihrem Umfeld klar, was man unter Grüner Chemie versteht?
    --> Zwei Drittel stimmten mit nein, ein Drittel mit ja.
  • Ist seit der Abhaltung der Fachdialoge und der Plattform GC das Bewusstsein in Ihrem Umfeld für die Notwendigkeit einer Grünen Chemie gestiegen?
    --> Die eine Hälfte stimmte mit nein, die andere mit ja.
  • Haben sich die Zeiten, in denen Sie bzw. Ihre Organisation sich mit Grüner Chemie beschäftigt haben/hat in den letzten Jahren erhöht?
    --> Ein Drittel stimmte mit nein, zwei Drittel stimmten mit ja.
  • Besteht die Bereitschaft von Ihnen bzw. Ihrer Organisation in konkreten Projekten zur GC gemeinsam mit anderen Teilnehmern mitzuarbeiten (bzw. solche aktiv einzubringen)?
    --> Alle stimmten mit ja.

Fachvortrag 1: Cellulose Hightech-Materialien — ein neues Christian-Doppler-Labor der BOKU

Hubert Hettegger, Institut für Chemie nachwachsender Rohstoffe der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU)

„Grüne Chemie“ ist mittlerweile ein populäres Schlagwort. Die Notwendigkeit für bessere, nachhaltigere Prozesse in der chemischen Industrie im Sinne einer kreislaufbasierten Bioökonomie ist heutzutage unbestritten. Die Zellstoff- und Papierindustrie, große Teile der Textilindustrie sowie viele Folgeindustrien, die auf Cellulose basieren, verwenden bereits nachwachsende Rohstoffe (= Biomasse) als Ausgangsmaterial. Grüne Chemie bedeutet jedoch viel mehr, als nur nachwachsende Rohstoffe als Ausgangsstoffe einzusetzen. Ein grüner, chemischer Prozess berücksichtigt alle Prozesseigenschaften, wie etwa Reaktionsausbeuten, Lösungsmittel, Hilfsstoffe, Recyclingfähigkeit, Energieflüsse, Abbau- und Nebenprodukte sowie Umwelt- und Sicherheitsaspekte. Neben der Wahl der eingesetzten Rohstoffe gewinnen daher auch Prozessaspekte zunehmend an Bedeutung.

Das seit März 2023 am Institut für Chemie nachwachsender Rohstoffe der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) am Technopolstandort Tulln angesiedelte CD-Labor unter der Leitung von Ass.Prof. Dr. Hubert Hettegger widmet sich aktuellen Forschungs- und Entwicklungsthemen auf dem Gebiet der Cellulosechemie. Im Sinne „grüner(er) Chemie“ werden die chemischen Grundlagen und Eigenschaften sowie die nachhaltige Herstellung und (Wieder-)Verarbeitung von Materialien auf Basis von Cellulose erforscht. Die anwendungsorientierten Ziele sind Stärkungs- und Verdichtungsstrategien für Cellulose-basierte Filterprodukte, eine sichere und effiziente Produktion von Cellulosefasern, Bindemittel auf Basis von Cellulose und Biomasse, sowie umweltfreundliche Textilfärbung. Das CD-Labor kollaboriert mit den Unternehmenspartner:innen Lenzing AG, Metadynea Austria GmbH, Papierfabrik Wattens GmbH & Co KG und VTL GmbH und wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) unterstützt.

Fachvortrag 2: Grüne und Nachhaltige Chemie im Unterricht ist kein Luxus: Positionspapier zur primären und sekundären Bildung

Anja Lembens,Universität Wien, Österreichisches Kompetenzzentrum für Didaktik der Chemie (AECC Chemie)

Ob Menschen informiert und verantwortungsvoll mit Produkten und Prozessen aller Art umgehen, hängt in hohem Maße von einer angemessenen naturwissenschaftlichen Bildung ab. Hierzu gehören neben fachlichen Grundlagen auch Kenntnisse über Ziele und Prozesse Grüner und Nachhaltiger Chemie.

Um Grüne Chemie in die Lehre einbringen zu können, müssen die Vorkenntnisse der Zielgruppe bekannt sein. Zum Begriff „Grüne Chemie“ gefragt, äußern befragte Personen überwiegend uninformierte, skeptische und irreführende Assoziationen. Das ist wenig überraschend, liefert jedoch Argumente für die Entwicklung und Implementierung von Lernmöglichkeiten rund um Grüne und Nachhaltige Chemie auch in den schulischen Unterricht. Dabei sollen junge Menschen einen Einblick in die Rolle gewinnen, die die chemische Industrie und Forschung in der Gesellschaft spielen, indem sie die Prinzipien der Grünen Chemie umsetzen, um eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Dies muss Hand in Hand mit der Entwicklung eines Bewusstseins für die Auswirkungen des eigenen Verhaltensgehen.

Aktuelle Lehrpläne für die Primar- und Sekundarstufe bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte, um Aspekte der Grünen und Nachhaltigen Chemie zu bearbeiten. Um die Lehrpersonen mit dieser verantwortungsvollen und voraussetzungsreichen Aufgabe nicht allein zu lassen, ist es notwendig, entsprechende Materialien zu entwickeln und zu evaluieren, sowie ein längerfristig angelegtes Fortbildungsprogramm auch unter Einbindung von Expertinnen und Experten zu implementieren. Ferner ist eine Einbettung in zukünftige Curricula für das Lehramtsstudium anzustreben.

Mit Blick auf die globalen Herausforderungen, ist es kein Luxus, sich im Unterricht mit Grüner und Nachhaltiger Chemie zu beschäftigen. Vielmehr ist es essentiell, damit alle zukünftigen Bürger:innen das Rüstzeug erwerben können, um informiert und verantwortungsvoll handeln zu können.

Die Stellungnahme Lehren und Lernen über „Grüne und Nachhaltige Chemie“ in der Schule kann zu einer besseren Wahrnehmung der Anliegen im Bildungsbereich beitragen.

In der auf den Vortrag folgenden Diskussion wurde unter anderem angesprochen, wie Lernende für das Thema zu begeistern sind. Hier wurden als Beispiele die Initiative von „Chemie on Tour“ oder die Zeitschrift „Molekulino“, die vom Verband der Chemielehrer:innen in Österreich angeboten wird, genannt. Auf die Begeisterung für das Thema sollte eine Kontextualisierung im Rahmen der Nachhaltigkeit folgen.

Fachvortrag 3: Arkeon: Innovative Herstellung von Aminosäuren aus H2 und CO2

Simon Rittmann, Universität Wien, Arkeon

Simon Rittmann, Mikrobiologe und Biotechnologe an der Universität Wien, ist Spezialist für Archaea, einzellige Mikroorganismen, die wie Bakterien keinen Zellkern besitzen und daher früher auch als „Urbakterien“ bezeichnet wurden. Archaea sind weitgehend unerforscht, gehören zu den ältesten Lebensformen auf der Erde und sind so widerstandsfähig, dass sie auch in extremen Lebensräumen wie Unterwasservulkanen, Geysiren oder im Toten Meer gedeihen. Rittmann hat einen Archaea-Stamm entdeckt, der aus Kohlendioxid alle 20 der für den Aufbau von Proteinen benötigten Aminosäuren produzieren kann. Zusammen mit seinen Kollegen Gregor Tegl und Günther Bochmann hat er 2021 die Firma „Arkeon“ gegründet, die mit Hilfe der Archaea und mittels Gasfermentation Aminosäuren für die Lebensmittelindustrie herstellt. Bei Arkeon in Wien wird in Edelstahltanks ein Archaea-Stamm in einer Salzlösung kultiviert. Dieser verstoffwechselt das Treibhausgas CO2 unter Zugabe von H2 (molekularem Wasserstoff). Aus CO2 und H2 beziehen die Archaea die benötigte Energie für ihre Stoffwechselleistungen sowie die Bausteine für die Synthese von Aminosäuren.

In der folgenden Diskussion wurde erklärt, dass zum Beispiel Ammoniak verwendet wird, um den für die Produktion von Aminosäuren benötigten Stickstoff für die Archaea bereitzustellen. Darüber hinaus wurde erläutert, dass der Stoffwechselprozess von Archaea zwar höchst effektiv (und effektiver als der von Pflanzen) ist, aber anaerob abläuft und womöglich daher Pflanzen (beziehungsweise deren klassische Photosynthese) in der oxigenierten Umwelt dominierend sind.

Fachvortrag 4: Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit von Chemikalien: Erste Erfahrungen und Einschätzungen zu „Safe and Sustainable by Design“

Andreas Windsperger, Institut für Industrielle Ökologie, St. Pölten

Aufbauend auf ihrer Strategie des Green Deal im Jahr 2019 hat die Europäische Kommission 2020 die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit veröffentlicht, bei der die Verankerung des Prinzips von „safe and sustainable by design (SSbD)“ ein zentrales Element ist. Das Joint Research Centre (JRC) in Ispra hat dafür ein Konzept, aufbauend auf den folgenden Prinzipien, entwickelt:

  • Balance zwischen Gefährdung und den Nachhaltigkeitsdimensionen, um „Regrettable Substitution“ zu vermeiden
  • Übergang von relativen zu absolut sicheren und nachhaltigen Verbesserungen
  • Lebenszyklusorientierung - kontinuierliche Verbesserung der Datenlage
  • Schaffung eines kohärenten Rahmens für verschiedene Politikbereiche.

Das Konzept beruht als europäische Forschungs- und Entwicklungsaktivität derzeit auf Freiwilligkeit.

Der Ablauf der SSbD-Bewertung ist in 5 Schritten gegliedert, in denen die gefahrenrelevanten Eigenschaften bewertet (mit cut-off Kriterien für besonders gefährliche Chemikalien), die Gefahr für Mensch und Umwelt in der Herstellungsphase und bei der Anwendung aus Gefahrenpotenzial und Exposition ermittelt, eine Bewertung der Lebenszyklusaspekte durchgeführt und letztlich im Rahmen einer sozioökonomischen Betrachtung die Sinnhaftigkeit des Chemikalieneinsatzes für die Gesellschaft in der gesamten Wertschöpfungskette geprüft werden. In jedem Schritt werden scores vergeben, die am Ende als Gesamtprofil dargestellt werden können. Damit ist sowohl die Darstellung von Verbesserungen bei Produkten aber auch ein Vergleich mit möglichen Substituten möglich.

Bei der Analyse der vorgeschlagenen Methode und der Besprechung des SSbD-Konzepts mit Betrieben ergaben sich folgende Eindrücke: Das Konzept wird grundsätzlich unterstützt, da es die wesentlichen Aspekte der Nachhaltigkeit umfasst. Es überwiegen aber die Gefahrenaspekte deutlich. Betriebe zeigten sich wegen des vorgesehenen cut-offs im ersten Schritt besorgt, da sie einen Ausschluss von Stoffen befürchten, für die es keine adäquaten Alternativen gibt. Ein Ausschluss sollte nur bei klarer Evidenz der Gefährdung erfolgen. Stoffumwandlungen oder Immobilisierung im Zuge des Prozesses sowie Gefahrenminderungsmaßnahmen müssten bei der Exposition entsprechend berücksichtigt werden. Bisher wurden in den Betrieben keine derart umfassenden Bewertungen durchgeführt. Die Berücksichtigung der Gefahrenpotenziale der verwendeten Stoffe und deren Reduktion durch betriebliche Maßnahmen oder Anwendungshinweise ist aber State-of-the-Art und auch für die Genehmigung von Betriebsanlagen (entsprechend Schritt 2) notwendig. Die Einbeziehung von sozioökonomischen Aspekten entspricht den Zielen der Nachhaltigkeit und ist auch ein Schritt in Richtung des vorgesehenen Lieferkettengesetzes.

Fachvortrag 5: Rolle der Chemie in einer Circular Economy

Klaus Kümmerer, Leuphana Universität Lüneburg

Klaus Kümmerer erinnerte an den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: Es ist nicht möglich, Abfall zu 100 % zu rezyklieren. Wenn unsere Gesellschaft (gefährliche) Abfälle reduzieren will, muss sie auch den Material- und Schadstoffeintrag reduzieren. Als zentrales Problem bezeichnete er in diesem Zusammenhang die chemische Vielfalt und Komplexität unserer heutigen materiellen Welt. Ein gutes Beispiel sind Textilien: In diesem Sektor werden 40 verschiedene Fasern und etwa 600 Färbechemikalien verwendet, die offensichtlich eine Barriere für das Recylcing darstellen. Weitere Beispiele sind verschiedener (Co)Polymere und Verpackungsmaterialien, aufgebaut aus einer Vielzahl an Schichten. Sofern Recyclingmöglichkeiten bestehen, sollten diese sinnvoll gestaltet werden, um einen hohen Energieeinsatz zu vermeiden. In einer Kaskade von Recyclingprozessen dominiert das schwächste Element in der Kette die Gesamtverwertungsrate. Es sollte eine viel ganzheitlichere Sicht auf unseren „chemischen Stoffwechsel“ befürwortet und eine kritische Diskussion darüber geführt werden, was unsere Gesellschaft will und was sie braucht.

Insgesamt ist das Design am Anfang zentral, um Verluste zu minimieren. Für ein effektives Design ist es wichtig, dass eine verstärkte Kommunikation zwischen allen Beteiligten (das heißt herstellenden, designenden und abfallverwertenden Unternehmen sowie Privatpersonen) herrscht, wodurch Produktdesign zu einem co-kreativen Prozess werden muss.

Resümee - Thomas Jakl und Barbara Wetzer

Zum Abschluss sprachen Thomas Jakl und Barbara Wetzer nochmals ihren Dank an Moderatorin Sabine Cladrowa und ans gesamte Organisationsteam aus und betonte, dass der Erfolg dieses Projekts zur Grünen Chemie auf den Initiativen und dem Engagement der einzelnen Anwesenden beruht. Das Feedback und die Erwartungen und Bedürfnisse aller Teilnehmenden wurden festgehalten und werden für die weitere Gestaltung der Plattform berücksichtigt.

Den Wünschen der Teilnehmer:innen wird nachgekommen und der Fokus der nächsten Treffen verstärkt auf Vernetzung gelegt - mit Möglichkeiten für eine Projektbörse und längere Diskussionen.

Alle Teilnehmer:innen sind bereits jetzt herzlich zur Teilnahme an der nächsten Veranstaltung in etwa einem halben Jahr eingeladen.

Themencafes

1. Bewertung der Nachhaltigkeit und Safe and Sustainable by Design

Diskutiert wurde, ob Safe and Sustainable by Design (SSbD) nun verpflichtend umgesetzt werden soll. Dazu wurde angemerkt, dass dies seitens EU und Joint Research Center (JRC) derzeit (zumindest bis 2025) nicht vorgesehen ist. Synergien zu bereits vorhandenen Berichtspflichten (REACH- und CLP-Verordnung, Taxonomie-Verordnung, Non-Financial Reporting Directive (NFRD), Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)) sollten genutzt werden. Zum Begriff „Essential use“ wurde diskutiert, dass der Bewertungsaufwand für Produktformulierungen immens wäre, und eine SSbD Bewertung vermutlich vorerst nur auf Stoffebene umgesetzt werden sollte. Produkthersteller sollten sich darauf fokussieren, die Komplexität ihrer Produkte zu reduzieren, und nur Stoffe verwenden, die für die Funktion des Produkts maßgeblich sind (dies würde auch die Repairability und Recycleability erhöhen). Um SSbD voranzutreiben, wäre eine Harmonisierung der SSbD-Bewertung äußerst wichtig, um zum Beispiel: Ergebnisse gleicher Stoffe unterschiedlicher Hersteller besser vergleichen zu können. Derzeit werden zum Beispiel: unterschiedliche Modelle für Expositionsbewertungen (wie zum Beispiel ConsExpo, CESAR, EUSES, Stoffenmanager) herangezogen. Diese haben wiederum einen starken Einfluss auf die Ergebnisse der SSbD-Schritte 2 und 3. Tools beziehungsweise eine Toolbox für die Designphase sowie zur Überprüfung von Substitutionen wäre äußerst hilfreich, um zu vermeiden beziehungsweise zu verhindern, dass es zu einer „regrettable Substitution“ kommt. Fazit: Eine Unterstützung der systemischen Umsetzung der SSbD durch den Gesetzgeber wäre sehr erwünscht.

2. Herausforderungen der Grünen Chemie für Unternehmen, Forschung, Lehre und Policy

Es wurden zahlreiche Herausforderungen für alle Stakeholder identifiziert: Beginnend bei der Ausbildung der Kinder und Lehrer:innen zur Vermittlung von chemischem Grundverständnis, dem Mangel an qualifiziertem Personal für Industrie und Forschung zur Umsetzung von Projekten, mangelnde Wirtschaftlichkeit von grüneren Alternativen, Abnahme der (Material-)Qualität, der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff und grünem Strom, fehlende harmonisierte Rahmenbedingungen in der EU und weltweit bis hin zum Greenwashing wurden genannt und diskutiert.

3. Substitution gefährlicher Stoffe – ein Erfolg der Grünen Chemie?

Bei der Frage der Substitution wurde diskutiert, dass Grüne Chemie ein hohes Potential für die Substitution von gefährlichen Stoffen hat. Hierbei wurde das Risiko angesprochen, gut erforschte Stoffe durch weniger gut erforschte (aber möglicherweise ebenso gefährliche) Stoffe zu ersetzen, wobei auch hier die Grüne Chemie eine Chance zur Verbesserung darstellt. Hierbei muss allerdings auch der gesamte Lebenszyklus der Chemikalie in Betracht gezogen werden. Auch hier spielt die Bewusstseinsschaffung, beginnend schon in der primären Bildungsstufe eine große Rolle, wobei ebenso diskutiert wurde, dass eine effektive Substitution kaum ohne regulatorischen Druck umgesetzt wird.

4. Was wird vom Gesetzgeber (BMK) im Bereich der Grünen Chemie erwartet?

Erwartungen an den Gesetzgeber bezogen sich unter anderem darauf, dass eindeutige, erleichterte und transparente Bedingungen für Recycling geschaffen werden sollen. Darüber hinaus wird eine Harmonisierung über verschiedene Regulatorien hinweg erwartet. Auch die Voraussetzungen für die Durchführung von Carbon Capture and Utilization (CCU) wurden bemängelt und die Anrechenbarkeit von CO2-Nutzung in den carbon footprint gefordert.

5. Kriterien für die Förderung von Projekten der Grünen Chemie. Welche Kriterien sollen herangezogen werden?

Als Hauptkriterium für die Förderung wurde ein breiter gesellschaftlicher Nutzen genannt. Da sich dieser wiederum über verschiedene Kriterien definiert, wurde vorgeschlagen, dass sich zumindest eine Dimension verbessern muss, während sich die anderen nicht verschlechtern dürfen. Als weitere Kriterien wurden die 12 Prinzipien der Grünen Chemie nach John Warner genannt, sowie Maßnahmen, die die Partizipation fördern. Intensiv wurde auch Rapporteurwesen bei Fördermittelvergaben und das Prinzip der Konsensbildung diskutiert.

6. Suffizienz, Effizienz und Konsistenz als Grundprinzipien der nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft

Suffizienz, Effizienz und Konsistenz, Strategien, veröffentlicht 2016 von Siegfried Behrendt, Edgar Göll, Friederike Korte und unter anderem die drei Grundprinzipien der Bioökonomie, sind auch für die nachhaltige Transformation der Chemiewirtschaft maßgeblich. Effizienz kann in der Grünen Chemie insbesondere durch innovative Geschäftsmodelle wie Chemikalien-Leasing und andere funktionsbasierte Geschäftsmodelle und Suffizienz durch Reduktion des Konsums adressiert werden. Effizienz ist in mehreren der 12 Prinzipien der Grünen Chemie verankert und könnte insbesondere durch wirkungsorientierte Governance-Instrumente (zum Beispiel Bewusstseinsbildung, Internalisierung externer Kosten, Regulierung) in der Grünen Chemie weiter gesteigert werden. Konsistenz von Maßnahmen und Initiativen der Grünen Chemie zu anderen Lösungsansätzen und Strategien einer Nachhaltigen Entwicklung, wie Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft, ist wesentlich, damit das ganze Potenzial der Grünen Chemie zur nachhaltigen Transformation der Chemiewirtschaft ausgeschöpft werden kann. Hierzu gilt es Interessens- und mögliche Zielkonflikte durch verstärkte Kommunikation und Zusammenarbeit aufzulösen, die unter anderem durch unterschiedliche Zeithorizonte bei den Zielsetzungen und in der Entwicklung sowie durch Pfadabhängigkeiten bedingt sind.

7. Kontextualisierung der Grünen Chemie – mit welchen relevanten Umweltthemen steht sie im Zusammenhang? Wie kann man diese darstellen?

Ziel dieser Diskussion war ein Bild zu entwerfen, wie die Grüne Chemie – unabhängig von einer Definition – im Kontext anderer Themen, wie zum Beispiel relevanter Umweltthemen dargestellt werden kann. Damit soll die Bedeutung der Grünen Chemie aus dem „engen“ Kontext von Chemie und chemischer Synthese gelöst und ihre umfassendere Rolle, Aufgabe, Bedeutung und Potential dargestellt werden.

Im Zuge der Diskussion wurde eine Darstellung von konzentrischen Kreisen (Schalen) gewählt: Im Mittelpunkt steht die Grüne Chemie.         
In der ersten „Schale“ werden die Themen (1) Awareness Raising (2) Knowledge und (3) Design als drei Stufen zur Entwicklung einer Grünen Chemikalie dargestellt.
Die zweite „Schale“ zeigt den Lebenszyklus einer (grünen) Chemikalie: („neue“) Rohstoffe -> Produktion -> Konsum/Verwendung -> Postkonsum (Abfall).
In der dritten und letzten „Schale“ werden angrenzende Bereiche und solche, in die die Grüne Chemie hineinspielt, die sie betreffen und in die sie Auswirkungen hat, dargestellt – tlw. auch im Zusammenhang mit den Phasen des Lebenszyklus aus der zweiten „Schale“, zum Beispiel: Klimawandel, Biodiversität, Sustainable Development Goals der UNO (SDGs), (Ab)Wasser, Rohstoffeffizienz, SSbD, Kaufentscheidungen, Sicherheit (Arbeitnehmer:innenschutz und intrinsische Eigenschaften von Chemikalien).

Betreffend die Darstellung wurde angeregt diese „Schalen“ dreidimensional darzustellen, entweder als Kegel, in „Hochzeitstortenform“ oder als umgekehrter Kegel („Stanitzel“).